Ein gewöhnliches Leben - 2006, 26min, Video Buch, Regie, Schnitt: Anna Faroqhi Entstanden ist ein Film in Zeichnungen und Titeltafeln. Die Handlung zeichnet eine komplizierte Migrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts nach aus der Sicht einer Enkelin. Mein Großvater väterlicherseits, Abdul Qudus Faroqhi, war Inder. Er studierte und lebte in den 20er und 30er Jahren in Deutschland, ging dann mit seiner deutschen Familie nach Indien und Indonesien, um in den 50ern wieder nach Deutschland zurück zu kehren, wo er 1969 starb. Wenn man sich seinen Lebensweg genauer ansieht, erscheint das Leben von Abdul Qudus nicht mehr ungewöhnlich, sondern ist vielmehr typisch für die Migrationen und ideologischen Irrungen des 20. Jahrhunderts. Synopsis Schon von früher Kindheit an sehnte ich mich danach, mehr über meinen indischen Hintergrund zu wissen. Da meine Familie keine Beziehungen zu Verwandten in Indien oder Pakistan mehr hat, ist dieser nur noch in überlieferten Geschichten zu fassen. Abdul Qudus Faroqhi, mein indischer Großvater, kam 1921 nach Deutschland. Ich lernte ihn nie kennen, und er starb als meine Zwillingsschwester und ich 2 Jahre alt waren. Das Einzige, was ich von diesem Mann kenne, sind ein Reisepass, eine Brille, ein paar Fotos sowie die indische Staatskleidung ? Nehrukappe, schwarzer langer Rock und weite Hosen. Mein Vater und meine Tante nahmen Distanz zu ihrem Vater. Sie haben nie gerne von ihm gesprochen. Es hat mich viele Jahre gebraucht, bis ich endlich anfing, genauer nachzufragen. Abdul Qudus Faroqhi entstammt einer wohlhabenden muslimischen Kaufmannsfamilie in Südzentralindien bei Hyderabad. Mit 21 Jahren wollte er in die britische Armee eintreten, wurde jedoch abgelehnt. Abdul Qudus ging nach Deutschland, wurde ziviler Pilot, dann studierte er Soziologie und Medizin. Auch während der Nazizeit blieb mein Großvater in Deutschland. Er sympathisierte mit den Ideen der Nazis. 1941 heiratete er meine Großmutter, eine Deutsche, hatte zwei Kinder mit ihr. 1946 ging die Familie nach Indien, wo Abdul Qudus die medizinische Versorgung einiger Krankenhäuser in Bhopal leitete. Die Unabhängigkeit Indiens 1947, Teilung und Massenunruhen zwischen Hindus und Muslimen führten dazu, daß die Familie nach Indonesien floh. Einen prägenden Teil seiner Jugend hat mein Vater hier verlebt. 1949 brachen nach der sogenannten ?Polizeiaktion? der Holländer gegen die indonesische Regierung Unruhen aus. Mitte der 50er ging die Familie nach Deutschland zurück. Dort schaffte mein Großvater es nach Anfangsschwierigkeiten, mit dem Wirtschaftswunder mitzugehen. Als er starb, hatte er ein Reihenhaus in Spanien und eines in Hamburg. Das Verhältnis zu seinen Kindern war gebrochen. Ich habe nie Gelegenheit gehabt, diesen fremden, abenteuerlichen Mann kennen zu lernen. Mir bleiben nur ein Paar Fotos und die Erinnerungen der anderen. Zur Form Ich habe mich entschlossen, den Film Ein gewöhnliches Leben in Zeichnungen und Titeltafeln zu machen, weil ich für diese biografische Geschichte beides gleichzeitig brauchte: Nähe und Distanz. Indem ich Zeichnungen von den vorhandenen Fotos und historischen Ereignissen, aber auch von den Protagonisten machte, eignete ich mir jedes einzelne Detail an. So versuchte ich, mir dieses Fremde, das angeblich ein Teil von mir sein soll, nahe zu bringen. Die Familiengeschichte ist zum Teil Mythos, es gibt viele Unklarheiten, die sich auch in Gesprächen mit meinem Vater und meiner Tante oder mit Experten nicht aufklären ließen. Indem ich nur sehr wenige Fotos verwende, verweigere ich mich dem Anspruch des dokumentarischen Essays, authentisch zu wirken. Was ich erzähle, ist lediglich eine Version von Geschichte. Sie erzählt etwas über die Unmöglichkeit, im 20. Jahrhundert, über Konstrukte wie ethnische Zugehörigkeiten Identität zu finden. Anna Faroqhi, Berlin 2006 |