OLJONEK mahall rupp jenneßen
Freitag, 03 Dezember, 2010 - 21:00
Oljonek
Olaf Rupp
Olaf Rupp
Rudi Mahall
Uli Jenneßen
rudi mahall - bcl
olaf rupp - git
uli jenneßen - dr
record release
Der Improvisator
Der frei improvisierende Musiker greift für gewöhnlich auf einen ganz persönlichen, individuell entwickelten musikalischen Wortschatz zurück. Es handelt sich dabei um einzelne Klänge oder um Kombinationen von Klängen, die man selbst schön findet, gut produzieren kann, und die man stets im Hinterkopf behält, jederzeit abrufbar. Die Freiheit der Improvisation besteht somit oftmals nur aus der freien Wahl des Zeitpunktes, wann genau diese Teile des individuellen Vokabulars gespielt werden. Allerdings lastet die Verantwortung für die Entstehung der gesamten zu spielenden Musik auf ihm. Es gibt meist keine musikalischen Formen, die ihm Halt geben und Verantwortung abnehmen können. Er bewegt sich entblößt im freien Raum.
Der standard time oder groove spielende Musiker hat normalerweise eine musikalische Form und ein vorgegebenes Tempo zur Verfügung oder zur Bedienung, die ihn einengen, ihm aber gleichzeitig Verantwortung abnehmen. Ein Komponist hat in die Entstehung der Musik eingegriffen. Dieser Komponist fehlt bei der frei improvisierten Musik häufig, so daß ausübender Musiker und Komponist ein und dieselbe Person sind.
Für einige frei improvisierend Musiker gilt jedoch ein erhöhter Anspruch. Ihnen genügt es nicht, ständige Reproduzenten des eigenen Wortschatzes zu bleiben. Sie streben danach, beim Spielen eine enorm intensive Konzentration zu erreichen, in der neue Klänge oder Klangzusammenhänge in ihr Bewußtsein treten, die sie so noch nicht erfahren haben. Man kann dabei von einem vergrößerten Bewußtsein sprechen. Die Klänge kommen dabei sozusagen von oben und fließen durch einen hindurch. Viele sehr gute Musiker kennen diese Momente und streben sie an, in der Erkenntnis, daß dies die für sie größten zu erwartenden beruflichen Augenblicke der Inspiration sind. Es kann auch vorkommen, daß ein einzelner Musiker in einer Band sich zurückhält und auf altbekanntes Material zurückgreift, wenn er merkt, daß ein Kollege gerade inspiriert ist, um diesen zu unterstützen und ihm Raum zu geben.
Diese göttlichen Momente kann allerdings der über Form und time improvisierende Jazzmusiker ebenfalls erfahren, oftmals jedoch nicht mit der grenzenlosen Auswahl an Klängen, die der frei improvisierende Musiker spielen darf.
Es wird neuerdings behauptet, wirklich freie Improvisation gebe es gar nicht, da immer auf bereits eingespeichertes und also unfreies musikalisches Material zurückgegriffen werde.Ich möchte hier jedoch argumentieren, daß wirklich freie Improvisation existiert, und daß sie eben in dem Zustande enorm erhöhter Konzentration entsteht, wenn die Quelle der wirklich neuen Klänge oder Klangzusammenhänge angezapft wird. Je höher die Konzentration-Einengung-, desto freier die Musik. Das ist kein Widerspruch und verdeutlicht auch die Ernsthaftigkeit des Unternehmens, dessen sich ein Künstler hingibt.Rudi Mahall, Olaf Rupp und ich zählen aufgrund unseres Selbstverständnisses, bei angemessener Bescheidenheit, zu der Art von Musikern, die nicht nur auf ihr bisher angesammeltes Vokabular zurückgreifen wollen, sondern die jederzeit bereit sind, gleichsam wie mit einem Raumschiff in neue klangliche Welten vorzudringen. Unsere ersten Konzerte fanden ja auch im „Raumschiff Zitrone“ im Berliner Prenzlauer Berg statt. Der Name „Oljonek“ (Ort am großen Fluß Olenjok in Mittelsibirien) bezieht sich gleichsam auf den Fluß der Kreativität im oder am Musiker, allerdings mit einer leicht düsteren Färbung, aufgrund der eigenen Negativität und inneren Spannungen, denen sich jeder Mensch ausgesetzt sieht, deren Ausdruck und Verarbeitung jedoch dem Improvisator zum Broterwerb gereichen. Wohl bekomm's!
Uli Jenneßen Oktober 2009